Antikriegstag 2021

A

Nachdem ich letztes Jahr beim Antikriegstag über Kolonialismus und Rassismus gesprochen hatte, ging es dieses Jahr um die militärische Forschung und Entwicklung an Universitäten. Oder anders gesagt: um die Nutzung und Ausnutzung von Studierenden in Abhängigkeitsverhältnissen als günstige Forschende für das Militär.

Hallo Zusammen,

Ich wurde gebeten, heute über Kriegsforschung an Universitäten zu reden.

Das Militär war in der Menschheitsgeschichte ein großer Motivator für Forschung und Entwicklung. Nicht nur von Waffen, die immer weiter und zielgenauer töteten und vor zeitgeschichtlich relativ kurzer Zeit von Panzern, die wendiger, schneller und sicherer töteten, sondern auch von Maschinen, wie der Enigma.

Die Enigma, ein so genannter „Chiffrierapparat“, also eine Maschine zu ver- und entschlüsseln von Texten, zeigt uns heute ein Problem auf. Aber dazu später mehr.

Nach dem zweiten Weltkrieg bildeten sich an deutschen Universitäten Bewegungen, welche heute als Zivilklausel-Bewegungen bezeichnet werden. Zivilklauseln, das sind Selbstverpflichtungen von Organisationen, ausschließlich im zivilen, also nicht im militärischen Umfeld, tätig zu werden.

Gerade auf der Höhe des Vietnam-Krieges erhielten diese pazifistischen Bewegungen hohen Zulauf. Auf den dadurch entstehenden Druck von der Straße beschloss der Konvent der TH Darmstadt 1973 deshalb folgende Richtlinie: „Die TH Darmstadt lehnt die Durchführung militärischer Auftragsforschung innerhalb ihrer Einrichtungen ab“. Klingt erstmal gut, oder?

Die Realität sah leider anders aus: An 22 Hochschulen wurden zwischen den Jahren 2000 und 2012 Projekte mit einem Volumen von mehr als 10 Millionen Dollar durch die US-Army finanziert. Auch an der TU Darmstadt waren Projekte angesiedelt
– zur Untersuchung von Strömungsverhalten an Flugzeug-Tragflächen
– zu ultrahartem Material
– und zu Roboter-Software.

Auf der einen Seite militärische Auftragsforschung ablehnen, dann aber Aufträge einer Armee annehmen. Das klingt problematisch und zeigt, dass pazifistische Bewegungen an den Universitäten *immer* wachsam sein müssen!

An der TU Darmstadt hat diese wiederaufflammende Diskussion dazu geführt, dass im Jahr 2012 eine Zivilklausel eingeführt wurde. Darin heißt es: „Forschung, Lehre und Studium an der Technischen Universität Darmstadt sind ausschließlich friedlichen Zielen verpflichtet und sollen zivile Zwecke erfüllen; die Forschung, insbesondere die Entwicklung und Optimierung technischer Systeme, sowie Studium und Lehre sind auf eine zivile Verwendung ausgerichtet.“

Die alle zwei Monate tagende Ethikkommission der TU Darmstadt, in der Professoren wie Studierende vertreten sind, überwacht heute die Einhaltung der Zivilklausel und allgemein die ethische Vertretbarkeit von Forschungsvorhaben.

Zivilklauseln gibt es noch nicht ewig. Die erste Zivilklausel trat erst im Jahr 1986 an der Universität Bremen in Kraft. Der AStA der Universität Bremen schreibt dazu auf ihrer Homepage: Sie ist aus dem Grundgedanken her entstanden, „dass Wissenschaft, Forschung und universitäre Lehre dem Frieden dienen und an zivilen Lösungen der großen globalen Herausforderungen arbeiten sollen. Deshalb muss das Konzept der friedlichen Universität, ein elementarer Teil der Gründungsideologie der Bremer Uni, weiter aktiv verteidigt werden“.

Auch hier wird also betont, dass die Studierendenschaft *immer wachsam* sein muss!

Die Studierendenschaft an der Uni Konstanz hat zum Beispiel ihre eigene Zivilklausel in einem alten Unibeschluss wiederentdeckt, den die dortige Unileitung zu verschweigen versucht hatte. Diese Wiederentdeckung wurde anschließend mit einer großen Friedensparty zelebriert.

Aber Zivilklauseln gibt es längst nicht an allen Universitäten und weltweit betrachtet in sehr wenigen Ländern. Wikipedia führt hier neben Deutschland vor allem Japan auf. Nur zwei Länder.

Einige Forschungseinrichtungen lehnen die Implementierung einer Zivilklausel mit der Begründung ab, dass sie ja nur im zivilen Bereich forschten. Doch diese Argumentation ist problematisch. Kommen wir zurück zur Enigma. Sie wurde privat entwickelt, nicht an einer Hochschule, aber sie soll hier trotzdem als Beispiel dienen. Die Verschlüsselung von Daten könnte man erstmal als zivile Nutzung bezeichnen. Entwickelt wurde sie aber spezifisch für den Einsatz im ersten Weltkrieg. Da wurde sie nicht fertig – im zweiten Weltkrieg wurden mit ihr Einsatzbefehle verschlüsselt und entschlüsselt, die dann für die Tötung von unzählbaren Menschen gesorgt hat.

Diese Nutzbarkeit für zivile, wie auch für militärische Zwecke, nennt man dual-use. Und die macht das Thema in der Tat etwas kompliziert. Einfach wird es auf jeden Fall dann, wenn man für die US Army Aufträge erledigt. Es kommt also nicht nur darauf an, was man entwickelt, sondern auch für wen.

Und während an der Universität Bremen und der TU Darmstadt Strukturen dafür aufgebaut wurden, die ethische Verwendung von Forschungsvorhaben sicherzustellen, sind andere in Darmstadt noch nicht so weit.

Die Hochschule Darmstadt – HDA – stand Anfang des Jahres von einem Bündnis rund um die Seebrücke und den AStA der HDA in der Kritik, weil sie mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeitet. *Die* Grenzschutzagentur Frontex, die Menschen, die vor Krieg und Zerstörung in Europa ein Symbol der Hoffnung gesehen haben, mit Schüssen aus Gewehren in Richtung ihrer Schlauchboote – so genannten illegalen Pushbacks – deutlich macht, wie es um die Humanität in der Europäischen Union mittlerweile steht.

Der Präsident der hda Ralph Stengler verweist in seiner Antwort auf die tolle humanitäre Haltung der Institution hin. Als unabhängige Wissenschaftseinrichtung könne man aber „nicht auf ultimative Forderungen eingehen, die eine Beschränkung der Forschungsarbeit oder des Wissenstransfers zur Folge haben”. Wissenstransfers – wohin frag ich mich?

Aus meiner Sicht bleibt zu schließen: eine Humanitäre Haltung zeigt sich nicht in einfachen Zeiten, sondern im Umgang mit Konflikten, wie hier mit Frontex. Wer die Forschungsarbeit mit einer Behörde, im Bewusstsein dass diese auf flüchtende Menschen schießt, nicht beendet, macht man sich nicht nur deren menschenfeindliche Haltung zu eigen, sondern mitschuldig. Damit muss Schluss sein.

Retrospektiv betrachtet geht mir die Rede nicht weit genug. Anstatt mit Frontex eine Grenzschutzagentur zu haben, die unsere Europäischen Außengrenzen vor Menschen schützt, sollten wir eine Agentur haben, die Menschen schützt – auch und vor allem auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung in ein sicheres Asyl.

Kommentar hinterlassen

Diese Seite ist durch reCAPTCHA und Google geschütztDatenschutz-Bestimmungen UndNutzungsbedingungen anwenden.