Am Mittwoch bin ich zu einer Anwohnerversammlung im Akazienweg im Norden unserer Waldkolonie gegangen. Als ich ins Jugendzentrum – dem Ort der Versammlung – gekommen bin, dachte ich: “verdammt, hier muss was los sein”. Selten sind Anwohnerversammlungen auch nur ansatzweise gut besucht. Und der Raum war proppenvoll – dafür musste es einen guten Grund geben.
Den gab es. Seit dem 30.10. – am Mittwoch war das zweieinhalb Wochen her – ging in etwa 70 Wohneinheiten das Warmwasser und somit auch die Heizung nicht. Die Menschen saßen im Kalten. Und der Bauverein, dem die Wohnungen gehören, lässt sie im dunkeln. Kein Brief, keine offizielle Kommunikation. Nichts.
Nachtrag vom 25.11.: Es hat sich herausgestellt, dass in genau 70 Wohnungen die Heizung nicht ging, 52 davon waren auch ohne Warmwasser.
Der Akazienweg, der zwischen Klärwerk, Bahngleisen, “Auto-Friedhof” und Gewerbegebiet Staudinger Straße positioniert ist, ist kein teures Pflaster, im Gegenteil. Eine Anwohnerin benutzte den Begriff “Schlichtwohnungen”. Der Akazienweg wird auch schonmal als “Sozialer Brennpunkt” bezeichnet. Anwohnende berichten von sozialer Ausgrenzung und Mobbing, zum Beispiel in der Grundschule (die Außerhalb des Viertels liegt). Ein anderer davon, dass auch viele Sinti und Roma im Viertel wohnen und mit Rassismuserfahrungen zu kämpfen haben. Menschen, die schon wenig haben, kriegen von unserer Gesellschaft nichts geschenkt. Zumindest nichts gutes.
Und der Bauverein diskriminiert mit – “mit denen kann man’s ja machen”? Diese Meinung herrscht hier vor. “Warum sollen die auch ‘nen Brief an die Asozialen schicken?” sagt eine Frau. “Wer oft genug anruft und nervt, kriegt eine mobile Heizung gestellt”, eine andere – “die aber für eine Familie mit 4 Kindern nicht ausreicht”. Als Lösung für das Warmwasser schlägt der Bauverein vor, dass die Menschen sich Durchlauferhitzer zulegen sollen. Eine Anwohnerin erzählt, dass sie genau das gemacht hat – und die Sicherung dann beim Duschen dreimal rausgeflogen ist, bevor der Erhitzer den Geist aufgegeben hat. Und natürlich hat nicht jeder mal eben 80 € für so ein Gerät. Uff. Wie hier mit den Menschen umgegangen wird, ist – auf gut Deutsch: unter aller Sau. Das Allerletzte. Die Wut kocht hoch – und das zurecht.
Und dabei ist der Heizungsausfall nur die Spitze des Eisberges. Wer im Akazienweg spazieren geht (zum Beispiel zum Flyer verteilen ), kann sich dem Eindruck nicht verwehren, dass der Bauverein hier nicht viel Geld – wenn überhaupt welches – in die Instandsetzung steckt. Das deckt sich mit den Berichten, dass kaputte Fenster nicht ersetzt werden (“kein Budget”). Stolperfallen in Form von kaputten Treppenstufen nicht repariert werden. Es gibt Wohnungstüren, die beim Regen mangels Überdachung aufquellen, so dass sie nicht mehr aufgehen (als Fluchtweg lebensgefährlich). Schwarzer Schimmel in mehreren Wohnungen. Überflutete Keller. Ratten, die sich durch Wände nagen. Und Berichte davon, dass der Ansprechpartner des Bauvereins schlecht erreichbar ist. Und dann nichts passiert. Monate. Unglaubliche Geschichten.
Ich bin selten wütend. Diese Woche war ich es. Wütend und traurig.
In einem ersten Schritt haben wir uns als SPD-Fraktion an die Presse gewandt – und die Forderungen der Anwohner*innen, die das ebenso gemacht haben, öffentlich unterstützt. Unser SPD-Oberbürgermeister Hanno Benz war wie ich vor Ort, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Auch Paul Wandrey in seiner Funktion als Dezernent für Katastrophenschutz hatte vor Ort ein offenes Ohr für die Menschen im Akazienweg.
Prompt erhielten die Anwohner am Freitag dann einen Brief. Wenn man Druckt macht, geht es dann doch schnell. Die beste Neuigkeit: ein Duschcontainer wird aufgebaut. Für 70 Wohneinheiten mit irgendwas um die 150 Menschen – die genaue Zahl ist nicht bekannt. Das kann wirklich nur ein Anfang sein.
Anbei die Pressemitteilung, die vom Darmstädter Echo und der Frankfurter Rundschau auch knapp aufgegriffen wurde:
Lehmann: Bauverein darf MieterInnen nicht in der Kälte sitzen lassen
SPD-Fraktion rügt Umgang mit Menschen im Akazienweg und kündigt politische Schritte an
Kein warmes Wasser, keine funktionierende Heizung, seit zwei Wochen, obendrein Schweigen des Vermieters, das beklagten viele Mieter*innen des Bauvereins im Akazienweg bei der jetzigen Bewohner*innen-Versammlung. Die SPD-Fraktion äußert sich besorgt über den andauernden Ausfall der Wärmeversorgung und kündigt eine parlamentarische Initiative an. „Wir fordern die zuständigen DezernentInnen, Michael Kolmer und Barbara Akdeniz (Grüne) auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und die BewohnerInnen im Akazienweg vor einem Winter in kalten Wohnungen zu schützen“, sagt Philipp Lehmann, Mitglied der SPD-Fraktion und Vorsitzender der SPD-Waldkolonie.
Wie sich auf der BewohnerInner-Versammlung herausstellte, sind mehr als 70 Wohnungen im Akazienweg von dem Wärmeausfall betroffen. Wie es weiter gehen soll, was der Bauverein als Vermieter zu tun gedenkt und vor allem wann, das wissen die MieterInnen nicht. Derweil behelfen sich einige damit, ins Schwimmbad zu gehen, um warm duschen zu können. Andere haben mittlerweile eine kleine, mobile Heizung erhalten, die nach ihrer Auskunft aber nicht ausreicht, um die Kälte aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Zudem berichteten sie von weiteren Mängeln: auseinanderbröckelnde Treppenstufen, verstopfte Regenrinnen, Wasser, das durch Fenster und Balkontüren in die Wohnungen dringe. Ihr Vorwurf an den Bauverein: niemand kümmere sich, es komme keine Information, am Telefon würden sie abgewimmelt.
„Die MieterInnen im Akazienweg fühlen sich von Stadt und bauverein AG alleine gelassen. Das macht sie wütend“, sagt Lehmann, der ihre Reaktion versteht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas in Bessungen oder im Martinsviertel passieren könnte.“ Aus seiner Sicht hat der Bauverein als städtischer Vermieter eine Fürsorgepflicht, auch und insbesondere in Vierteln mit günstigen Mieten, wie im Akazienweg. „Der Bauverein darf seine MieterInnen nicht in der Kälte sitzen lassen – das ist ein Gesundheitsrisiko. Die Menschen im Akazienweg brauchen eine Perspektive, auch für Warmwasser“, fordert Lehmann und fragt, „wie lange soll es noch so weitergehen?“ Das fragen sich auch alle Betroffenen.
Die SPD-Fraktion fordert den Bauverein nun auf, aktiv in die Krisenkommunikation mit seinen MieterInnen zu treten. „Das wäre auch ein Zeichen von Respekt. Als Vermieter ist er für warmes Wasser und funktionierende Heizungen zuständig. Er schuldet es seinen Mieter*innen, ihnen zu sagen, wann diese wieder funktionieren – oder wenigstens, was getan wird, um das Problem zu lösen.“ Lehmanns Vorschlag: Einsatz eines Krisenmanagements, das für die Menschen aus dem Akazienviertel bei Fragen und Anliegen erreichbar ist und sie über Neuigkeiten bei der Problembehebung unterrichtet. Bis Heizungen und Warmwasser wieder laufen, verlangt Lehmann einen adäquaten Wärme-Ersatz. „Zukünftig darf es nicht mehr passieren, dass Mieter*innen im Krisenfall in der Kälte sitzen gelassen werden.“